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Thursday 10 May 2007
Closed Circuits
Voyeurismus, (Selbst-)Kontrolle und Fernsehen

mit Thomas Edlinger, Adrian Dabrowski, Anca Daucikova, Ramón Reichert

Kamera-Bilder tendieren dazu, so zu erscheinen, als seien sie bereits das Reale, als existiere dieses nur in seiner Mediatisierung. Wahrscheinlich nicht trotz, sondern gerade weil der Simulationsverdacht gegen den visuellen Overload mehrheitsfähig geworden ist, und das Misstrauen gegen die viel beschworene Macht der Bilder grassiert, haben dokumentaristische Techniken, wie sie Überwachungskameras bereit stellen, Konjunktur. Es ist ja gerade die allerorten immer wieder attestierte Macht der Bilder, deren magische, fetischisierte Qualität, die die an das Bild herangetragenen Begehrlichkeiten nährt und radikalisiert: auf der einen Seite den ikonoklastischen Furor (der in politisch und/oder religiös motivierten Bilderstürzen und -verboten seinen Ausdruck findet), auf der anderen Seite der Götzendienst der Idolatrie, der die imaginäre Verführungskraft der visuellen Dauerpräsenz feiert. So zeigen sich die beiden gegensätzlichen Umgangsweisen mit der “Bilderflut”, also Ikonophobie und Ikonomanie, als zwei Seiten einer Medaille. Beide werden genährt von einem voyeuristischen Begehren. Aber richtet sich dieses im Zusammenhang heutiger Video-Surroundings tatsächlich auf das Bild an sich?

Anthony Auerbach, der Initiator von Video as Urban Condition, schlug in seiner Einführung zu dem dritten und letzten Begleitprogramm vor, den Voyeurismus von seinem in der Bewegung ohnehin ständig entgleitenden vorgeblichen Objekt, eben dem Bild, zu befreien und ihn stattdessen an den “Akt bzw. die Apparatur des Sehens” zu koppeln. Dieser Fetischismus, so Auerbach, würde es erlauben, Phänomene wie die Verdopplung der Bilder durch Live-Videos bei Live-Auftritten von Musikern oder Belege der audiovisuellen “Interpassivität” (Robert Pfaller) besser zu verstehen: Videorecorder, deren Aufnahmen wir nie ansehen, Camcorder, die auf Motive zielen, aber nicht eingeschaltet sind. Und schließlich wäre die Verschiebung des Begehrens auf den Akt der Aufzeichnung selbst möglicherweise ein Hinweis darauf, wie und warum Überwachungsbilder heute nicht nur gefürchtet, sondern vermehrt, nicht nur in Reality-TV-Shows und in Internet-Selbstdarstellungsforen, auch genossen werden. 

Adrian Dabrowski, Obmann von Quintessenz, einem Wiener Verein zur Wiedererlangung der Bürgerrechte im Informationszeitalter, berichtete in seinem Vortrag von einigen Interventionen, die er bzw. KollegInnen zur Frage der öffentlichen Akzeptanz und Einschätzung von Überwachungskameras durchführten. Im Widerspruch zu von Dabrowksi zitierten internationalen Daten, die nach Einführung von Videoüberwachung keinen insgesamten Rückgang, sondern lediglich eine Verlagerung von Kriminalität in nicht-überwachte Stadtgebiete belegen konnten, wirkte sich eine simple Versuchsanordnung in Wien aber sehr wohl auf das Verhalten auf der Straße aus. Ein gefaktes, neben den sonntäglich aufgestellten Zeitungsständern angebrachtes Hinweisschild auf Videoüberwachung führte zu einem signifikanten Anstieg der Zahlungen für die ansonsten einfach entnommenen Zeitungen.

Der bloße Hinweis auf kontrollierende Kameras, so scheint es, prästrukturiert unser Verhalten. Diesen Zusammenhang vertiefte der Medienwissenschaftler Ramón Reichert, der aufgrund einer Verletzung nur seinen schriftlichen Vortrag beisteuern konnte. Darin analysierte Reichert den Film “Nach der Eishöhle” von Lukas Marxt und Michael Petri, montiert aus Found Footage privater Videoaufnahmen, die Mitte der Achtziger Jahre bis Anfang der Neunziger Jahre entstanden sind. Zu sehen sind Videobilder eines Medienamateurs, der seine Familie, bestehend aus seiner Frau und seinen zwei Kindern (unter anderem auch den Sohn Lukas Marxt), über einen längeren Zeitraum hinweg beinahe täglich filmte. Seine Thesen gliedern sich in vier Aspekte: “Erstens: Der private Gebrauch von Video generiert und verstärkt Machtbeziehungen. Damit etabliert sich eine Kontrollkultur unter medialen Bedingungen. Die Videoamateure rechtfertigen ihre auf die Familie angewandte Überwachung und Kontrolle als ‘Experiment’ und ‘Versuchsanordnung’. Zweitens: Zur Medienspezifik der Videonutzung der 80er Jahre gehört der häufige Einsatz von ‘Closed-Circuit’-Situationen. Damit vervielfältigen sich Macht- und Selbsttechnologien. Traditionelle Gegenüberstellungen wie etwa ‘Voyeurismus’ und ‘Exhibitionismus’ oder ‘Fremd-’ und ‘Selbstüberwachung’ werden obsolet. Drittens: Die Videoamateure der 1980er sind beinahe ausschließlich männlich. Videobilder verweisen auf eine Geschlechtszugehörigkeit. Die zeitbasierte Erinnerungskultur des Video Home System tradiert Narrative von Familien, in denen die Väter in der Regel abwesend sind. Als ‘Kameramänner’ filmen sie zwar, treten aber selbst nicht mehr in Erscheinung und fallen so aus dem Rahmen früherer Familienbilder wie wir sie etwa von der Fotografie kennen. Viertens: Die Integrität des unbeteiligten Beobachters hinter der Kamera bleibt Stückwerk männlicher Konstruktion und wird kontinuierlich durch die Akteure vor der Kamera dekonstruiert und in ihr Gegenteil verkehrt.”

In diesen zwischen Objektivierung und Subversion changierenden Rollen ähneln die gefilmten Kinder auf gewisser Weise manchen Selbstinzenierungen des (weiblichen) Körpers in der feministisch inspirierten Videokunst, die häufig mit Closed Circuit-Situationen, also geschlossenen Abbildungssituationen, experimentierte. Anca Daucikova, Künstlerin und Lehrbeauftragte an der Akademie der bildenden Künste in Bratislava, reflektierte die darin angelegte Doppelung von Selbstentblößung und Subjektivierung, Überwachung und Selbstermächtigung anhand der auch in ihrem Video-Werk häufig eingesetzten Spiegelmetaphorik. Der Spiegel kann in voyeuristischem Sinn aus einer Schlüssellochperspektive verwendet werden, dient aber gleichzeitig als Instrument der Selbsterkenntnis und Selbstkontrolle. Und er kann in einer künstlerischen Anordnung der Blickrichtungen diesen in einer Geste der Machtumdrehung auf den Betrachter selbst zurückwerfen.

Ganz im Gegensatz zu diesen als solche transparent gemachten Versuchsanordnungen zur Kritik von Subjektivierungsformen stehen visuelle Subkulturen, die auf Schockwerte und grelle Realitätseffekte setzen. Thomas Edlinger, Journalist, Kurator und gemeinsam mit Auerbach Organisator von Video as Urban Condition, beschrieb in seinem Beitrag derbe Bum-fights, also kommerzielle Prügelfilme von Obdachlosen und dubiose, im Internet problemlos zu bestellende Kauf-DVD´s von und mit prügelnden Hooligans, die das Rohmaterial aus Polizeimitschnitten, Überwachungskamerabildern und Amateuraufnahmen vor und in den Fußballstadien zu meist anonymen, bloß mit Spielanlass und Datum insertierten Gewaltclips in Spielfilmlänge zusammen schneiden. Edlinger deutete den Hunger nach solchen Kicks des Authentischen als Wunsch nach Echtheit und Eindrücklichkeit eines “Ereignisses” in einer als simulierbar und simuliert erfahrenen Welt. Ein Ereignis überführe die Potentialität einer Situation in einen Akt, der die bestehende Ordnung sprengt. Es sei gerade das, das den Strom der Mediatisierung durchbricht, der Bruch in der Ordnung, das Unverdaubare, das Katastrophische und Terroristische, wie es etwa Jean Baudrillard in der Vernichtung des WTC gesehen hat. Die böse Ironie in diesem Fall liege aber darin, dass die Teilhabe an einem Ereignis wiederum über ein Medium suggeriert wird. Der unhintergehbare Bruch zwischen Realem und seiner Visualisierung soll verdeckt werden. Erfahrbar gemacht werden solle eben jenes kontingente, körperliche Reale, dem die Fiktionalität – man könnte auch sagen: Video as Aesthetic Condition – seit jeher seine eigene Wirklichkeitskonstruktion entgegen gesetzt hat.


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